Neuer SCHLIFF

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[Article in German]

Antwerpen ist der wichtigste Umschlagplatz für Diamanten, doch es droht, die Position an Dubai zu verlieren. Um den eigenen Standort zu stärken, fordern die belgischen Händler möglichst harte Sanktionen für russische Steine

Pieter Bombeke ist eine Legende. Händler und Juweliere aus der ganzen Welt melden sich bei ihm, wenn aus einem Diamanten etwas Besonderes werden soll. Wenn sie sich eine ungewöhnliche Form wünschen, seltene optische Effekte oder einen noch nie dagewesenen Schliff. In seiner Werkstatt im Diamantenviertel von Antwerpen zeigt Bombeke seinen derzeitigen Favoriten. Mit einer Pinzette mit vier Greifern hält der Diamantenschleifer den Stein unter eine Lampe. „Dreamcatcher“ hat er den Schnitt getauft. Die 56 Facetten sorgen für einen besonderen optischen Effekt. „Möglichst viel glitzern, das können alle“, sagt Bombeke. „Ich suche das Besondere.“

VON TOBIAS KAISER AUS ANTWERPEN

Der 71-Jährige ist einer der letzten seiner Art. In den 60er-Jahren, als er als Lehrling anfing, arbeiteten noch 45.000 Diamantenschleifer in und um Antwerpen. Heute, schätzt Bombeke, sind es vielleicht 150 Kollegen. „Hier saß früher ein Dutzend Schleifer“ sagt er und macht eine Geste durch sein Atelier. Die Steine werden immer noch fast ausschließlich von Menschen bearbeitet, aber die Jobs sind vor allem nach Indien abgewandert, wo Arbeit billiger ist. Mehr als 90 Prozent aller Rohdiamanten werden in der indischen Stadt Surat geschnitten, geschliffen und poliert. Gleichwohl ist Antwerpen immer noch der global wichtigste Umschlagplatz. Die Interessenvertretung der Branche schätzt, dass 84 Prozent aller Rohdiamanten weltweit einmal in der belgischen Stadt umgeschlagen werden. Allerdings ist auch dieses Geschäft in den vergangenen Jahren ins Rutschen geraten. Große Teile des Handels sind vor allem nach Dubai und teilweise ins indische Mumbai gewandert. Dubai ist inzwischen der führende Handelsplatz für Rohdiamanten und droht, Antwerpen auch bei geschliffenen Stücken abzulösen. Jetzt sehen die Händler in Belgien aber die Gelegenheit, diese Entwicklung aufzuhalten oder sogar zurückzudrehen. Helfen sollen dabei ausgerechnet Sanktionen gegen russische Diamanten – eine Maßnahme, gegen die sich die örtliche Diamantenbranche lange gewehrt hat.

Die wertvollen Steine werden in Antwerpen hinter einer unscheinbaren Kulisse gehandelt. Die drei Straßen des Viertels liegen in der Nähe des Hauptbahnhofs. Die Diamantenbörsen und die Büros der Händler befinden sich in Gebäuden, die ihre besten Tage lange hinter sich haben. Lediglich der Schlagbaum, der Polizeiposten an der Zufahrt und die Überwachungskameras an den Häusern und in den Fluren deuten darauf hin, dass hier jeden Tag Diamanten im Wert von geschätzt 200 Millionen Euro den Besitzer wechseln. Rund 10.000 Jobs in Antwerpen hängen vom Diamantenhandel in der Stadt ab, sagen Interessenvertreter.

Mit solchen Argumenten hat Belgien seit dem Einmarsch Moskaus in der Ukraine Sanktionen gegen russische Diamanten blockiert. Der russische Monopolist Arosa war für die Händler in Antwerpen vor dem Krieg bei Weitem der wichtigste Geschäftspartner. Und in der Branche ging die Angst um, dass Dubai davon profitierte, würden die Sanktionen umgangen. Die EU hat lange auf Belgien und die Interessen Antwerpens Rücksicht genommen – so lange gar, dass in Brüssel bereits gemurmelt wurde, welche mächtigen Fürsprecher das Land in Europa habe. Spätestens seit dem Frühjahr ist aber klar, dass auch Belgien Sanktionen nicht mehr vermeiden kann. Der Druck vor allem der USA ist zu groß, und die Branche hat offenbar erkannt, dass sie diese Krise nicht einfach aussitzen kann. Russische Diamanten dürften auf viele Jahre hinaus für große Marken tabu sein. Beobachter erwarten denn auch, dass die G 7 in den kommenden Tagen Sanktionen gegen russische Diamanten verkünden werden. Die EU will die Edelsteine derweil in ihr zwölftes Sanktionspaket aufnehmen. Bei den monatelangen Verhandlungen im Hintergrund hat das Büro des belgischen Ministerpräsidenten Alexander De Croo, das die Gespräche für Belgien und ein Stück weit auch für die EU steuert, eine Kehrtwende gemacht. Nachdem das Land monatelang Sanktionen blockiert hat, fordert es jetzt mit markigen Worten die schärfstmögliche Lösung. „Russische Diamanten sind Blutdiamanten“, sagt De Croo und verlangt einen Bann ab dem 1. Januar. „Belgien“, erklärt Hans Merket, Diamanten-Experte beim Forschungsinstitut International Peace Information Service (IPIS) in Antwerpen, „will Sanktionen, die absolut wasserdicht sind.“ Zentral für die Durchsetzung der Einschränkungen ist, dass die Reise der Steine nachvollziehbar ist. Auf dem Weg aus dem Boden auf einen Ring wechselt ein Diamant viele Male den Besitzer. Gehandelt werden die Steine zu Dutzenden oder Hunderten in Klarsichtbeuteln. Händler kaufen die Tüten, entnehmen einzelne Exemplare, die von Kunden nachgefragt werden, sortieren nach Größe und Farbe, vermengen die Inhalte mehrerer Beutel und verkaufen neue Mischungen an andere Händler und Handelsplätze. Die Branche diskutiert nun, wie vermieden werden kann, dass russische Steine an irgendeinem Punkt in diese Diamantenströme eingeschleust werden. Bereits heute soll das Land über Beutel mit geografischen Mischungen Ware in den internationalen Handel schmuggeln, in der russische Steine nicht mehr erkennbar sind.

Auf dem Tisch liegen zwei konkurrierende Vorschläge: Die Industrievertreter des World Diamond Council wollen, dass Händler lediglich Erklärungen abgeben müssen, dass sich in ihren Diamantenbeuteln keine russischen Steine befinden. Kathleen Van Brempt, Antwerpens Abgeordnete im Europäischen Parlament, hält davon wenig: „Das System basiert auf Vertrauen, aber Vertrauen ist kein Nachweis. Weil Diamanten so oft gemischt werden, ist es einfach, russische Diamanten einzuschmuggeln.“ Ein Vorschlag der belgischen Regierung von dieser Woche, den laut De Croo auch die EU unterstützen soll, sieht strengere Regeln vor. Demnach müssen die Händler jederzeit belegen können, dass ihre Ware nicht aus Russland stammt und dafür technologische Nachverfolgungssysteme nutzen. Diese gibt es bereits, sie sind allerdings bisher relativ teuer, weil sie auf Gravuren oder aufwendige Scans setzen. Daher werden sie vor allem für größere Steine genutzt. Neue Technologien könnten aber die Kosten senken: Das Unternehmen iTraceiT aus Antwerpen etwa will Diamanten mit Blockchain-Technologie und QR-Codes verfolgen, ein Prozedere, das auch für weniger wertvolle Steine und kleinere Minen und Händler in Afrika erschwinglich sein soll. Der belgische Vorschlag sieht zudem vor, dass bearbeitete Diamanten vor dem Verkauf einen Knotenpunkt in einem G-7-Land passieren müssen, wo diese Dokumentation kontrolliert wird. Dafür kommt derzeit lediglich Antwerpen infrage; nur dort gibt es bislang die nötigen Kapazitäten. „Das Ergebnis wäre, dass jeder, der in den G 7 verkaufen will, über Antwerpen verkaufen muss. Das wäre revolutionär“, sagt IPIS-Forscher Merket. Es würde die Position der Stadt erheblich stärken: Allein die G-7-Mitglieder USA, Europa und Japan machen 70 Prozent des Weltmarktes für Diamanten aus. Ob sich Belgien mit dieser Maximalvorstellung durchsetzt, ist fraglich. Die USA wollen Indien nicht verärgern, heißt es von Insidern. Die dortige Industrie wehrt sich gegen strenge Sanktionen und warnt, dass ein Teil der 500.000 Diamantenschleifer in dem Land ihren Job verlieren könnten. Es wäre eine Erfahrung, die man auch in Antwerpen kennt. Pieter Bombeke kann die Ängste der indischen Kollegen vermutlich nachvollziehen.

Rote und grüne Punkte am Kontoauszugsdrucker

Über IT-Probleme bei der Postbank klagen Tausende Kunden – und Mitarbeiter. Die Misere gefährdet die Sparpläne des Deutsche-Bank-Chefs

Es sind vor allem Beschäftigte der ehemaligen Postbank, die im Intranet der Deutschen Bank ihr Leid klagen. Tausende Kunden haben sich beschwert, weil sie nicht an ihr Geld kommen, auch die Finanzaufsicht BaFin hat sich tadelnd zu Wort gemeldet. Neben Jammern und Wehklagen findet sich in dem internen Forum auch ein halbwegs konstruktiver Vorschlag. Man könne doch, so heißt es da, einfach wieder zu getrennten Systemen zurückkehren. Dann hätten sich alle Probleme umgehend erledigt. Das wird nicht passieren. Fast 15 Jahre nach dem Kauf der Postbank hat die Deutsche Bank die bisher getrennt operierenden IT-Systeme schließlich gerade erst mit großem Aufwand zusammengeführt. Das soll kurzfristig 300 Millionen Euro im Jahr sparen und mittelfristig den Aufbruch zu deutlich mehr Effizienz, Ertrag und Kundennähe markieren. Diese Ziele will Bankchef Christian Sewing unter anderem mit weiteren Einsparungen erreichen. Nun aber geht es erst einmal um Schadensbegrenzung, um die Wiederherstellung von Grundfunktionen. Dass dafür Bedarf besteht, hat Sewing mittlerweile eingeräumt. „Wir sind unserer Verantwortung nicht gerecht geworden“, sagte er am Mittwoch bei einer Konferenz des „Handelsblatts“. Und: „Das ist insgesamt eine Situation, für die wir uns nur entschuldigen können.“ Intern ist der Mea-culpa-Auftritt durchaus wohlwollend registriert worden. Er ändert aber nichts daran, dass die Abarbeitung der Problemfälle die Beschäftigten der Bank weiter zu überfordern droht. Dabei hatte es zunächst gut ausgesehen. In vier Schritten hatte die Bank Daten von zwölf Millionen Kunden ohne Verluste von einer IT-Plattform auf die andere übertragen. Die Abschlussfeier des Großprojekts sagte sie dann jedoch zwei Tage vor dem anberaumten Datum ab. Stattdessen arbeiten Hunderte Beschäftigte nun auch samstags daran, gesperrte Konten freizugeben und blockierte Baukredite auszuzahlen. Die Zahl der zusätzlich abgestellten Kräfte, so heißt es intern, soll bald auf 600 steigen. Zudem hat das Geldhaus externe Dienstleister engagiert, von denen bislang knapp hundert Arbeitskräfte im Einsatz sein sollen. Auch eine neu angeschaffte Software soll den Abbau des Problembergs beschleunigen. All das kostet viel Geld, führt aber immerhin dazu, dass bei einigen Problemprodukten mittlerweile mehr Fälle abgearbeitet werden als neu dazukommen. Das gilt etwa für die besonders betroffenen Pfändungsschutzkonten. Mit diesen können verschuldete Kunden einen für die Lebenshaltung erforderlichen Freibetrag vor dem Zugriff der Gläubiger sichern. Intern gelten diese Konten als Musterbeispiel für ein vermeidbares Problem. Denn die Vorgaben für sie waren bei der Deutschen Bank deutlich strenger als bei der Postbank, was nach der Datenübertragung zwangsläufig zu massenhaften Sperrungen führte. „Warum hat das vorher niemand gesehen?“, fragt ein Insider. Bis der Rückstau abgearbeitet ist, dürften noch Monate vergehen, auch bei Nachlässen und Baufinanzierungen hakt es noch. Und es tauchen neue Probleme auf, etwa bei „behördlichen Auskunftsersuchen“. Mit diesen fordern zum Beispiel Staatsanwaltschaften Informationen über die Geldflüsse verdächtiger Personen ein. Mehrere Behörden sollen sich sogar bei der BaFin beklagt haben, weil sie diese nicht oder sehr spät erhalten haben, wodurch sich Strafverfahren verzögerten. In der Bank soll sich nun eine eigene „Task Force“ mit dem Thema beschäftigen. BaFin und Deutsche Bank äußerten sich auf Anfrage nicht.

WIR SIND UNSERER VERANTWORTUNG NICHT GERECHT GEWORDEN

CHRISTIAN SEWING Vorstandschef Deutsche Bank

Der Unmut ist intern auch deshalb groß, weil Skeptiker vorab auf mögliche Probleme hingewiesen haben sollen. Aus Kostengründen habe das Management aber nur wenig zusätzliches Personal bewilligt und eine weitere Verschiebung der Übertragung abgelehnt, heißt es. Auch an den Schulungen gibt es Kritik. Bei diesen habe die Bank vor allem auf „Multiplikatoren“ gesetzt, die jedoch nicht alle neuen Kenntnisse weitergegeben hätten. In vielen ohnehin unterbesetzten Filialen seien die Beschäftigten daher mit der neuen Benutzeroberfläche auf ihrem Computer überfordert gewesen. Und nicht nur damit. So habe die Zentrale etwa rote und grüne Punkte in die Filialen geschickt, wo sie die Beschäftigten an die Kontoauszugsdrucker pappen sollten. Was die Markierungen bedeuteten, sei aber nicht jedem klar gewesen. Die Schwierigkeiten reißen alte Gräben auf. Im Deutsche-Bank-Lager ist von schweren Versäumnissen bei der Postbank die Rede, auf der Gegenseite wird beklagt, dass stets von einer Postbank-Misere die Rede sei, obwohl allein die Deutsche Bank für die Probleme verantwortlich sei. Die Motivation der Belegschaft ist ohnehin überschaubar. Mehrere Sparrunden haben sie ermattet, aktuell laufen Gespräche über einen deutlichen Stellenabbau in der Baufinanzierung. Auch die Führungsriege wird kritisch beäugt. Sie ducke sich weg, übernehme keine Verantwortung, heißt es. Innerhalb der Bank gilt es als sicher, dass das Desaster Folgen im Management haben wird. Neben dem das deutsche Privatkundengeschäft führenden Lars Stoy gelten die für Abläufe und Prozesse verantwortlichen Manuel Loos und Anke Steenbrock als Kandidaten für einen vorzeitigen Abgang. Sewing hat angekündigt, dass der Fokus nun erst einmal darauf liegen solle, die Missstände zu beseitigen. Dabei gibt es Fortschritte. So sollen Antworten auf E-Mail-Anfragen von Postbankkunden wieder fast planmäßig erfolgen. Ob das so bleibt? Wie Insider berichten, läuft die Anwendung auf den alten Postbank-Systemen. Und die sollen zum Jahresende abgeschaltet werden. Endgültig.

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